Wirtschaftsrecht in den NL

Gilt Corona als höhere Gewalt?

23.04.2020

Was deutsche Unternehmen bei Handelsverträgen mit niederländischen Partnern gerade in Pandemie-Zeiten beachten sollten, erklärt DNHK-Juristin Donata Lex.

Pacta sunt servanda ist ein lateinischer Ausdruck für „Vereinbarungen müssen eingehalten werden". Es handelt sich um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, der bei Rechtsgeschäften von großer Bedeutung ist. Aber trifft dies auch in diesen Zeiten zu, in denen das Coronavirus einen großen Einfluss auf den (Welt-) Handel und die (Welt-) Wirtschaft hat, und viele Unternehmen Gefahr laufen, ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen zu können? Welche vertraglichen Konsequenzen hat dies für die betroffenen Unternehmen? Und können sie sich zum Beispiel auf höhere Gewalt berufen? 

Höhere Gewalt wird im niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuch (Artikel 6:75) wie folgt definiert: Ein Mangel kann dem Schuldner nicht zugerechnet werden, wenn er nicht schuldhaft gehandelt hat und der Mangel ihm auch nicht aufgrund von Gesetz, Rechtsakt oder allgemein akzeptierten Ansichten zugerechnet werden kann. Was genau unter höhere Gewalt fällt, ist gesetzlich nicht definiert. Will sich eine Partei auf höhere Gewalt berufen, muss daher zunächst geprüft werden, was die Parteien in ihrem Vertrag oder in den für anwendbar erklärten allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbart haben. 

Handelsverträge enthalten oft eine so genannte „Force Majeure-Klausel“. Darin ist festgelegt, unter welchen Umständen höhere Gewalt vorliegt und welche Folgen dies hat. Die Klausel umfasst in der Regel Umstände wie staatliche Maßnahmen, Streiks, plötzliche Behinderungen der Infrastruktur oder Transportmangel. Krankheiten, Epidemien oder Quarantänen können bei der Definition von höherer Gewalt ebenfalls einbezogen werden. 

Eine erfolgreiche Berufung auf „höhere Gewalt“ hat zur Folge, dass der Gläubiger nicht mehr die Erfüllung der Leistung fordern kann. Auch hat der Gläubiger in diesem Fall keinen Anspruch auf Entschädigung; schließlich kann der Ausfall dem Schuldner nicht zugerechnet werden. Wurde vertraglich keine Klausel über höhere Gewalt festgelegt, gelten die gesetzlichen Bestimmungen. Es hängt dann von den jeweiligen Umständen des Falles ab, ob die Nichterfüllung nach allgemein akzeptierter Auffassung dem Schuldner zugerechnet werden kann oder nicht. 

Aufgrund der momentanen Umständen gibt es gute Argumente, dass das Corona-Virus als Situation höherer Gewalt angesehen werden kann. Bis zu einem gewissen Grad wird von Unternehmern jedoch erwartet, dass sie in der Lage sind, mit „Katastrophen“ umzugehen. Das Maßnahmenpaket, das am 12. bzw. 15. März 2020 von der niederländischen Regierung beschlossen und inzwischen bereits wiederholt verlängert wurde, um die weitere Ausbreitung des Virus einzudämmen, ist jedoch bislang beispiellos in der Geschichte der Niederlande. Daher muss im Einzelfall auf der Grundlage der besonderen Umstände des jeweiligen Falles geprüft werden, ob das Coronavirus die vollständige Einhaltung eines Vertrages tatsächlich verhindert oder ob sich womöglich alternative Möglichkeiten aus dem jeweiligen Vertrag bzw. zur Vertragserfüllung ergeben. 

Wenn sich nicht auf höhere Gewalt berufen werden kann, könnte noch ein anderes Rechtsmittel in Betracht gezogen werden: die Geltendmachung „unvorhersehbarer Umstände" (Paragraph 6:258 Absatz 1 BW). Auf Antrag einer Partei kann gerichtlich ein Vertrag geändert oder (teilweise) aufgelöst werden. Das Vorliegen unvorhergesehener Umstände wird jedoch nicht schnell angenommen. Im allgemeinen Sprachgebrauch sind die Maßnahmen von Covid-19 sicherlich unvorhergesehen! Es stellt sich jedoch nicht nur die Frage, ob diese Umstände tatsächlich völlig unvorhersehbar waren, sondern darüber hinaus auch, ob es sinnvoll ist, die Folgen in dem betreffenden Fall ausschließlich einer Partei aufzuerlegen. 

Eine pauschale Beantwortung der Frage, ob im Einzelfall höhere Gewalt bzw. unvorhergesehene Umstände geltend gemacht werden kann, ist dementsprechend nicht möglich und muss im Einzelfall geprüft werden. Für Verträge, die zeitnah abgeschlossen werden – oder für allgemeine Geschäftsbedingungen – ist es auf jeden Fall ratsam, eine „Covid-19 /Pandemie-Klausel" aufzunehmen. Indem im Voraus festgelegt wird, dass staatliche Maßnahmen zur Eindämmung einer Pandemie als eine Form der höheren Gewalt oder als ein unvorhergesehener Umstand zu betrachten sind, gibt es weniger Raum für freie Interpretation.

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